Artikel: SM oder was? |
Leitartikel aus „Unter Druck 49“ (Dez. 2002) zur Libertine Aktion ibertinage: |
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Seit über 15 Jahren setzt sich die Libertine ein für – ja wofür überhaupt? Für „Sadomasochismus“? – was ja schon an und für sich ein unscharfer Begriff ist? Wir wollen doch keineswegs für Sadomasochismus„ als eine bessere Art der Sexualität werben. Wir stehen für Vielfalt. Und vor allem dafür, dass alle das ausleben dürfen, wonach ihnen ist – Safe-Sane-Consensual mal vorausgesetzt. Geht es also um Toleranz? Akzeptanz? Nur das? Ich denke es geht uns um mehr! Aber worum?
Vorigen Februar wandelte ich durch die eindrucksvolle Ausstellung „Sade surreal“ in Zürich
(Bericht siehe „Unter Druck 48“).
Bei den Exponaten - Bildern, Filmpassagen, Schriftstücken,
Künstlerportraits, etc. - fiel mir u.a. die völlige Abwesenheit von
Symbolen der heutigen SM-Szene auf. Eine Ausstellung, die zweifellos viel mit
Sadomasochismus zu tun hatte, aber nichts von Lack und Leder zeigte, keine Halsbänder,
Handschellen, nichts dergleichen. Stattdessen ging es um ein ewiges Thema der
Kunst: Entgrenzung.
Wenn man über die Grauslichkeiten von de Sade hinwegsteigt, kann man ihn
auch als einen Philosophen sehen, der versucht hat, in seinem Bild vom „Libertin“
mit großer Radikalität das Undenkbare denkbar zu machen. Einer der
das Leugnen von „sündhaften“ Gefühlen und „unmoralischen“
Gedanken, satt hatte. Weil es niemanden schützt. Stattdessen führt
Leugnen unweigerlich in die Doppelmoral, weil sich Tatsachen eben nicht verbieten
lassen. De Sade als Ritter gegen die (innere) Zensur? Als Ritter gegen die Doppelmoral?
De Sade als Moralist?
Philosophen und Künstler wie de Sade, Bunuel, Passolini, Bataille, Nietzsche, Dali, … kann man nicht unbedingt zur SM-Szene zählen. Aber es gibt etliche wichtige Gemeinsamkeiten: Die Lust am (erotischen) Grenzbereich, Radikalität, Ehrlichkeit, ein Quentchen Subversivität und Skepsis am Althergebrachten. Menschen also, die ohne falsche Scham und ohne Selbst-Zensur auch die Lust am Dunklen, Bösen und Zerstörerischen erforschten. Menschen, die mit einer radikalen Offenheit an innere Grenzen herangingen, versuchten ohne erhobenen Zeigefinger zu sehen, was da (an Lust) ist.
Zurück zur Libertine: Welche Ideale vertritt die Libertine? Wozu wollen wir also verführen? (Wenn wir eben nicht zu SM-Sex verführen wollen?) Neben Toleranz geht es uns ganz besonders um Lust, um Entgrenzung und um Ehrlichkeit ohne Selbstzensur, in der Gefühle und Gedanken wertfrei erlaubt sein sollen.
In diesem Sinne haben wir vor mehr als einem Jahr mit Slogans wie „Feel the Beat“
oder „Sense Power“ einen Imagewandel vollzogen.
Von SMlern als bedauernswerte Opfer einer seltsamen „Neigung“ hin
zu coolen, selbstbewußten Spezialisten in Sachen Erotik und Lust.
Und wenn wir dieses Konzept weiterdenken, dann kann es nicht genügen, einfach
nur „Lobby“, „Anlaufstelle“ oder „Selbsthilfegruppe“
zu sein, denn durch dieses Auftreten wird unterstellt, dass SMler (hilfsbedürftige)
Mitglieder einer Randgruppe seien, die allein schon aufgrund der Bezeichnung
„SM-Neigung“ irgendwie „schief“ wären.
Doch Menschen, die mit großer Klarheit und Geradlinigkeit an ihre inneren
Tabuzonen herangehen, die sich und ihre Lust wichtig nehmen, auch in den Winkeln,
wo diese gängigen Vorstellungen zuwiderläuft, die sind nicht „schief“,
die sind „gerade“: Offen und radikal ehrlich.
Wenn wir den Gedanken einer erotischen Avantgarde weiterspinnen, dann müssen wir uns über die SM-Anlaufstelle hinausentwickeln. Dann muß die Libertine – als Sadomasochismus-Initiative – die Reduktion auf SM überwinden. Dann muß sie eine Wertegemeinschaft sein, die selbstbewußt die Ideale vertritt, um die es schon unseren Gründern offenbar gegangen ist, als sie den Namen „Libertine“ wählten: Um die Wichtigkeit von Sexualität und Lust, um die Wichtigkeit von Erotik, die auch Tabus nicht scheut, um Selbstbestimmung, um Klarheit, um Offenheit und um Wahrheit ohne Zensur, kurz: um Libertinage.
In diesem Sinne wollen wir mit unserer „Aktion ibertinage - Trag das !“ ein Zeichen setzen.
Vive la Libertinage!
Robert
© Libertine Wien, Dezember 2002 / Unter Druck
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Bitte Mitteilung an webmaster@libertine.at |
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Letztes Update: Mai 2017 |